dynamische Rente

dynamische Rente
I
dynamische Rente
 
1951 hatten die Sozialleistungen einen Anteil von 36,5 % am Bundeshaushalt, vier Jahre später betrug dieser Anteil sogar 42 %: rund 9,8 Mrd. DM bei einem Gesamthaushalt von 29,6 Mrd. DM. Immerhin waren 1955 rund 20 % der Bevölkerung von Sozialleistungen abhängig; die Sozial-Enquête (Untersuchungsbericht über die soziale Situation der Bevölkerung) von 1955 erfasste etwa 1 Million Haushalte, die unter der offiziellen Armutsgrenze von 130 DM Monatseinkommen lagen. Das Sozialsystem der Bundesrepublik musste also umfassend reformiert werden, und Bundeskanzler Adenauer kündigte in seiner Regierungserklärung zu Beginn seiner zweiten Amtszeit eine solche Reform auch an.
 
Diskussionen um eine Reform hatte es seit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 gegeben. Zwei grundsätzliche Richtungen standen sich in den Auseinandersetzungen gegenüber: Sozialdemokraten und Gewerkschaften fochten für eine Einheitsversicherung mit gleichen Leistungen für alle Berufsgruppen unter einheitlicher Verwaltung. Dagegen forderten die Wirtschaftsverbände eine Wiederherstellung des bisherigen gegliederten Versicherungssystems, in dem jede Gruppe eigene Versicherungen hatte. In den Diskussionen konnten sich schließlich die Befürworter des traditionellen Systems durchsetzen.
 
Das Konzept der Einheitsversicherung wurde von der Regierung abgelehnt, bewirkte aber, dass in den anderen Parteien und Gruppierungen intensiv nach Plänen und Lösungen gesucht wurde. Bis 1955 lagen aber keine konkreten Entwürfe vor, und es stand zu befürchten, dass die groß angekündigte Sozialreform versanden würde.
 
Adenauer seinerseits drängte - auch mit Blick auf die Bundestagswahl 1957 - auf die Reform. Mitte 1955 war aber auch klar, dass eine umfassende Reform im Rest der Legislaturperiode nicht mehr zu schaffen sein würde. So mussten sich Adenauer und das federführende Bundesarbeitsministerium unter Anton Storch, dem Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse, mit einer Teilreform begnügen. Die Sozial-Enquête hatte deutlich gemacht, dass die Sozialrentner in der größten Not lebten. Eine Rentenreform konnte also die schlimmsten Notfälle und gleichzeitig rund die Hälfte der Sozialleistungsfälle erfassen. Als Konzept für die Reform bot sich ein Modell an, das ein Kölner Privatdozent in die Diskussion brachte. Dieses Modell bestand darin, dass die Erwerbstätigen einen Teil ihres Bruttoeinkommens in die Rentenkasse zahlten, die den Betrag an die Rentner weitergab. Dem Beitragszahler wurden Punkte gutgeschrieben, die sich an der Höhe seines Beitrages orientierten. Aus diesen Punkten und dem jährlichen Beitrag konnte dann der Rentenwert errechnet werden. Auf diese Weise war die Rente mit dem Bruttoeinkommen der Beitragszahler gekoppelt - die dynamische Rente war erfunden (zur weiteren Entwicklung siehe auch Deutschland: Krise des Sozialstaats in den 1990er-Jahren). Dieses Modell eines Generationenvertrages konnte sich im nun einsetzenden Streit der Parteien und Ministerien durchsetzen. Die SPD rückte im Verlauf der Diskussionen, an denen auch die Öffentlichkeit sich lebhaft beteiligte, von der Einheitsversicherung ab und brachte einen noch weitergehenden Entwurf im Bundestag ein. Im Januar 1957 passierte die Reform in zweiter Lesung den Deutschen Bundestag. Rückwirkend zum 1. Januar wurde sie wirksam, ab Mai wurden die fälligen Nachzahlungen und Erhöhungen geleistet. In der Arbeiterversicherung stiegen die Renten um durchschnittlich 65 %, in der Angestelltenversicherung um fast 72 %. Der von Adenauer geführten CDU brachte unter anderem diese Reform bei den Bundestagswahlen im September 1957 die absolute Mehrheit.
II
dynamische Rente,
 
eine Rente, die durch die Anpassung an die Entwicklung der Löhne (lohnbezogene Rente), der volkswirtschaftlichen Produktivität (Produktivitätsrente) oder anderer Bezugsgrößen den Rentner an dem wachsenden Sozialprodukt teilnehmen lässt. Die »Dynamisierung« der Rente war einer der Kerngedanken der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (1957). Die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung (auch der Alterssicherung der Landwirte, der Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung) erfolgt seit In-Kraft-Treten des Rentenreformgesetzes 1992 (1. 1. 1992), indem der bisherige aktuelle Rentenwert durch einen neuen aktuellen Rentenwert ersetzt wird (Rentenversicherung).

Universal-Lexikon. 2012.

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  • Rente — Ruhegehalt; Altersversorgung; Pension; Altersrente; Alterssicherung; Altersgeld; Ruhestand * * * Ren|te [ rɛntə], die; , n: 1. Einkommen in Form regelmäßiger monatlicher Zahlungen aus einer gesetzlichen Versicherung oder aus entsprechend… …   Universal-Lexikon

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